Arbeitswelten – Kreative Klasse und digitale Nomaden
22. Mai 2011 von Dr. Roman Wagner - Dr. Wagner & Partner
Die kreative Klasse ist eine Theorie, welche vom amerikanischen Politprofessor Richard Florida entstammt. Er zählt alle Arbeitenden dazu, die kreativ tätig sind und die Wertschöpfung von Unternehmen, neue Produkte und Optimierungen von Prozessen maßgeblich beeinflussen: Professoren, Wissenschaftler, Künstler, Designer, Architekten. Die Konzentration der kreativen Klasse findet seiner Definition nach in den Regionen statt, welche auf Technologie, Talent und Toleranz ausgerichtet sind. In Deutschland ist Berlin aktuell das Bundesland mit dem höchsten TTT-Ranking, gefolgt von Hamburg und Baden-Württemberg.
Der Artikel „Die Stadt, Lebensraum der kreativen Klasse“ von Charlotta Mellander beschreibt sehr gut, wie wichtig die Randbedingungen der neuen Klasse sind. Nicht mehr nur ein geregeltes Einkommen, ein Auto und ein Haus sind die wichtigsten Faktoren. „Die Orte, die Talent anziehen, sind solche, die eine große Bandbreite an Gütern, Dienstleistungen und Konsumerfahrung anbieten. Denn die neuerdings gefragte Kohorte der kreativen Angestellten hat tendenziell ein Bedürfnis nach Vielfalt. Sie wollen zwischen vielen Dingen auswählen. Vielfalt macht uns glücklich. Und, wie Theresa Amabile aus Havard meint, glückliche Menschen sind kreativer. […] Kluge Leute wollen ihre Freizeit schlicht und einfach mit Dingen verbringen, die ihre Lebensqualität steigern.“
Digitale Nomaden werden häufig als Schwarm bzw. als Wolke bezeichnet. Sie arbeiten projektbezogen, sind i.d.R. nicht angestellt und häufig ohne eigenes Büro. Gearbeitet wird zu Hause oder im Coworking-Space, als Freelancer für größere Medienagenturen oder auf selbständiger Basis. „Wir sind ständig eingeloggt, erstellen Profile, um unser ,Selbst‘ auf dem globalen Markt für Arbeit, Freundschaft und Liebe zu präsentieren“, beschreibt der niederländische Netzkritiker Geert Lovink unsere Online-Existenz. „Jede Minute unseres Lebens wird in ,Arbeit‘ oder zumindest in Erreichbarkeit verwandelt.“ Das Telefon, der Computer und ein Internetzugang, fertig ist das mobile Büro.
Quelle: Digitale Nomaden from 2470media on Vimeo.
Aber es gibt auch kritische Stimmen zur Arbeit in der Wolke, welche den hohen Druck der Selbstständigkeit und Selbstverantwortung betonen. Demnach wird das Heute gelebt, das Morgen zu häufig ausgeblendet: kein geregeltes Einkommen, kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld und keine Altervorsorge. Darüber hinaus werden Fragen nach der Zugehörigkeit aufgeworfen, wenn man digital zwar überall und mit jedem vernetzt ist – in der Realität aber vor dem eigenen Rechner vereinsamt. Der französische Medienphilosoph Paul Virilio nennt dieses selbstverlorene Dasein vor dem Computer „elektronische Apartheid“ oder „mediale Ghettoisierung“. Er fragt: „Wo bin ich, wenn ich überall bin?“ Ob die wie Pilze aus dem Boden schiessenden Coworking-Spaces die Antworten auf diese Frage sind, bleibt also abzuwarten…